Rund um Paunsdorf
Der Bau für die Plattenbausiedlung Neu-Paunsdorf begann 1987. Heute ist sie – nach Grünau – mit ca. 6.300 Wohnungseinheiten die zweitgrößte in Leipzig. Meine Kinder zogen bald mit ihrer neuen Familie in eine große 5-Raum-Wohnung in einem der ersten Blöcke.
Als man mir 1989 dort eine Wohnung anbot, griff ich natürlich sofort zu. Ablehnen hätte sowieso keinen Sinn gehabt, meine Altbauwohnung in Leipzig-Gohlis war klein und verwinkelt. Ich hatte kein Bad, nur ein Waschbecken mit Boiler in der Küche, der Balkon war baufällig und konnte nicht benutzt werden. Und die Toilette befand sich eine Treppe tiefer…
Der planmäßige Ausbau der Siedlung wurde 1991 beendet, und die postsozialistische Keksrollenarchitektur des neuen Zeitalters ersetzte nahtlos die Betonbauklötzer der DDR-Betonplattenbau-Industrie. Keksrolle oder Bauklotz? Das war nicht die Frage, die Frage war, ob man die Miete noch bezahlen konnte.
An einem Nachmittag im August, irgendwann vor vielen Jahren, ich hatte üble Laune, kein Geld und zu viel Durst, kam ich auf die Idee, mein Fahrrad wieder flott zu machen und ein bißchen herumzufahren. Ich kaufte mir einen Fahrradcomputer und begann, die Rundfahrten zu protokollieren.
„Wenn Du sonst nichts hast, hast Du doch wenigstens ein Protokoll“, dachte ich mir.
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Mein Wohnblock, die Rückseite. Er hat die Form eines „U“, zwischen dessen Schenkeln man viel Grün und einen Wäscheplatz findet.
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Der Weg nach draußen.
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Der Fuß/Radweg verläuft parallel zur Platanenstraße. Rechterhand liegt eine Gartenkolonie. Die Gärtner sind immer noch sauer, man hatte ihnen einen Teil ihres Geländes für die Wohnsiedlung weggenommen.
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Ende des Radweges. So sieht es in Paunsdorf überall aus. Die Straßen verlaufen manchmal kreuz und quer, wir sind immer noch in der Platanenstraße.
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Wir fahren geradeaus weiter durch die Wiesenstraße. „Geradeaus“ stimmt nicht ganz. Aus unerfindlichen Gründen macht die Straße hier einen Schlenker, dessen Sinn nicht zu erkennen ist. Vielleicht hatten die Geometer sich ja auch nur um ein paar Meter vermessen …
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Ich biege rechts ab, die Häuser haben die Adresse „Heiterblickallee“, obwohl die weiter ab liegt. Die Garagenanlage links ist neu.
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Diese Straße führt ins Nichts. Sie verläuft parallel zur Heiterblickallee nach NO. An ihrem Ende liegt ein freier Platz, auf dem sich einmal das Gebäude eines Discount-Marktes befunden hatte.
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Kurz vor dem freien Platz wechsele ich auf den Fuß/Radweg, der weiter paralles zur Heiterblickallee verläuft. Jetzt bin auch nicht mehr allein unterwegs.
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Das ist die Endstelle „Paunsdorf-Nord“ der Linie 8. Vor dem Ausbau der Gleisanlagen war das die ultimative Endstelle der Pendelbahn, die der Erschließung des neuen Wohngebietes diente.
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Das ist der Beweis: Das Ost-Ampelmännchen gibt es wirklich. Es wurde 1961 vom Verkehrpsychologen Karl Peglau erfunden. Es gibt ihn übrigens auch als Ampelfrau …
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An einer Haltestelle muß ich die Straße überqueren, dort wohnen die Besserverdienenden.
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Ich folge der Paunsdorfer Allee nach SO und später nach einem Knick nach S. Es ist das langweiligste Stück der Strecke.
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An dieser Stelle erfährt die Allee eine Verbreiterung ohne, daß darin ein Sinn zu erkennen wäre. Ach, diese Geometer! Sie wird gern von LKW- und Busfahrern für ihre Ruhezeiten genutzt.
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An dieser Kreuzung heißt es: Aufgepaßt! Die Linksabbieger wollen zur Autobahn oder nach Wurzen, sie haben es eilig und übersehen gerne die Radfahrer.
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Nach der Kreuzung geht es weiter nach Süden. Auf der rechten Seite der Straße ist das große Einkaufszentrum zu erkennen. Postmoderne Zweckarchitektur, nichts besonderes, aber es ist alles da. Fast alles …
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An dieser Kreuzung müssen wir nach rechts abbiegen. Nach links geht es – wohin schon – nach Riesa, geradeaus nach Engelsdorf, und rechts ins Stadtzentrum. Es gibt hier immer was zu sehen, …
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„Auch Pferdegespanne?“, fragte ängstlich ein Sympathisant. „Natürlich! Auch Pferdegespanne! Das kommt oft vor!“, sagte im Brustton der Überzeugung der Lipsiator.
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Jetzt kommt ein langes gerades Stück der Strecke, das aber nicht ganz so langweilig ist. Warum, weiß ich nicht.
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Die Haltestelle Paunsdorf, Straßenbahnhof, ist erreicht. Es scheint aber, als wäre es eher ein Bushof. Das Wort „Busbahnhof“ ist in Leipzig verpönt. Zurecht.
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Ich biege rechts ab und fahre durch eine Schlippe hinter dem Straßenbahnhof ein Stück nach Norden. Unter dem Asphalt schlummern seit vielen Jahren die nutzlos gewordenen Gleise der alten Pendelbahn nach P.-Nord.
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Jetzt fahre ich die Permoserstraße nach Westen Richtung Zentrum. Die Straße ist nach Balthasar Permoser, dem Barockbildhauer, benannt. Der hatte mit Leipzig gar nichts zu tun …
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An der Kreuzung Permoserstr./Th.-Heuss-Str. biege ich nach rechts ab und fahre An den Theklafeldern Richtung NO. Heuss? Wer, ße’fack, war Heuss? Schon wieder einer, der mit Leipzig nichts zu tun hatte!
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Über die Penckstr. fahre ich hinüber zur Torgauer Straße. Der Weg führt mich weiter nach NO. Das ist eine wichtige Ausfallstraße ins Innere von Sachsen und darüber hinaus.
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Bevor wir zu weit nach NO kommen, biegen wir an der Portitzer Allee nach rechts ab und fahren Richtung SO.
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Meine Fahrt neigt sich dem Ende zu. Ich bin wieder an der Wendeschleife der Hst. P.-Nord angekommen. Zum Abrunden noch ein Foto geschossen, dann geht es auf die letzten Meter.
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Ich bin wieder hinter meinem Wohnblock. Hier muß man besonders auf Mütter mit kleinen Kindern achten. Sie vergessen schon mal, daß das ein kombinierter Rad-/Fuß-Weg ist. Meine Vorderradbremse ist kaputt, ich muß sie reparieren lassen … Sicher ist sicher.
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Wieder zurück, Ende der Runde. Schnell noch ein Foto von meinem Spiegelbild, dann gehts vier Treppen hinauf. Und dann wird ausgeruht.
Inzwischen füllen die Rundfahrtprotokolle einen kleinen Ordner. Fein säuberlich sind unter anderem die Fahrzeiten und die gefahrenen Kilometer in einer Liste vermerkt. Ab und zu nehme ich die alten Listen zur Hand, und schaue sie mir an. Und ich stelle mit Bedauern fest, daß mein Alter und die „Gesundheit“ ihren Tribut fordern.
Seis drum!
Solange die rechte Hand das Schwert noch aus der Scheide ziehen kann, und solange es der Held noch ohne Hilfe aufs Pferd schafft, macht er weiter!
(c) Bernd Mai September 2015
Nie aufgeben! Es geht immer weiter, wenns auch nichtmehr mit 150Stkm geschwindigkeit geht so noch mit 80Stkm, dafür aber intensiver und schöner, genieße jeden Tag und Freue Dich! – Das letzte Foto gefällt mir besonders! 🙂