Neues von Rosi H.
von Bernd Mai
Rosi H. war früher Kindergärtnerin gewesen. Sie ist eine große und kräftie Frau, recht ansehnlich. Als ihr Kindergarten in einem ländlichen Randgebiet von Leipzig schloß, wurde sie entlassen. Ihr Mann hatte schon lange keine Arbeit mehr. Er hockte mißmutig und vergnatzt zu Hause und vertrieb sich die Zeit mit Fernsehen und Biertrinken. Abends hockte er vor dem Computer und chattete in irgendwelchen dubiosen Kanälen herum. Die beiden Großen waren schon aus dem Haus. Ihre Tochter Nina, ein Nachzügler, besuchte noch das Gymnasium. Sie war ein nörgelnder, stets unzufriedener Teenager, der vor Rosi keinen Respekt hatte.
Vor der Wende war Rosi Mitglied der SED gewesen. Sie hatte Kreis- und Bezirkspartei-schulen besucht, und als die DDR abgeschafft wurde, verstand sie die Welt nicht mehr. Als ihr jemand zu erklären versuchte, daß sie pleite gewesen sei, und daß niemand die Konkursmasse haben wolle, begriff sie das nicht. In ihrer Volksbildungsplazenta war es immer so gemütlich warm und kuschelig gewesen. Durch eine üppige Westerbschaft konnte sich die Familie ohne Probleme über Genex mit Autos und Tiefkühltruhen versorgen lassen.
Rosi war zum Zeitpunkt ihrer Entlassung erst 47 Jahre alt gewesen. Als ihr zu Hause langweilig wurde, und als ihr muffliger Ehemann anfing, ihr auf die Nerven zu gehen, ging sie in ein nahe gelegenes Pflegeheim der Diakonie, um dort ehrenamtlich zu helfen. Sie fand Spaß daran, und mit kleinen Kindern wollte sie nichts mehr zu tun haben. Unter dem Personal lernte sie Menschen mit christlicher Lebenseinstellung kennen, und sie nahm begierig die dargebotene geistige Nahrung auf. Aus der PDS war sie ausgetreten, weil sie das Gejammere der verbitterten alten Genossen nicht mehr ertragen konnte. Im Heim fand sie, was sie lange vermißt hatte: eine Gemeinschaft Gleichgesinnter und Rituale, sie liebt Rituale. Als sie das erstemal an einem Gottesdienst in der Hauskapelle teilnahm, lief ihr ein Schauer über den Rücken. Das sollte endgültig ihre geistige Heimat sein, beschloß sie. Rosi ist ein aufgeschlossener und kommunikativer Mensch, und die leitenden Mitarbeiter des Heims beobachteten ihren geistlichen Eifer und ihr Geschick beim Umgang mit den Bewohnern mit Wohlwollen. Man trug ihr an, sich zum Altenpfleger umschulen zu lassen, eine Stelle, wenn auch vorerst befristet, wolle man ihr schon verschaffen. Die Zweifel ihrer Arbeitsberaterin konnte sie leicht zerstreuen, die Umschulung dauerte zwei Jahre. Damit sie im Heim nicht in Vergessenheit geriet, brachte sie sich an den Wochenenden immer wieder in Erinnerung. Sie nahm an den Gottesdiensten und Andachten teil, und sie übte das neu Gelernte an den Bewohnern. Nach dem Praktikum im Heim und der Abschlußprüfung, die sie sehr gut bestanden hatte, herrschte jedoch Funkstille. Die leitenden Mitarbeiter waren weniger zugänglich als zuvor, und sie luden Rosi auch nicht zu einem Gespräch ein, nachdem sie sich förmlich beworben hatte. Denn – auch die Diakonie lebt nicht vom Gotteslohn allein. Aber Rosi gab nicht auf und suchte Trost im Gebet. Kurz bevor sie an ihrem neuen Glauben verzweifelte, es waren 9 Monate seit der Prüfung vergangen, erhielt sie einen Anruf von Diakon R., dem Heimleiter. Es war noch sehr früh – fünf Minuten vor sechs Uhr. Sie möge gleich zur Arbeit erscheinen, es pressiere. Man hatte eine Pflegekraft beim Klauen erwischt und fristlos entlassen. Seitdem arbeitet sie in dem Heim, und sie hat als Bereichsleiterin Karriere gemacht. Von ihrem Mann hat sie sich getrennt. Sie ist dem Marburger Kreis beigetreten, und sie arbeitet hart an ihrem Glauben. Härter jedenfalls, als seinerzeits an der „Geschichte der KPdSU“ …
© 2010