Träume sind Schäume (#1)

Ich bin Lehrling bei einem Tischlermeister. Heute hat er Geburtstag, und ich habe ein Sonderaufgabe bekommen. Ich soll Einladungen oder Tischkarten beschriften. Dazu soll ich eine Reißfeder benutzen. Manchmal nennt man sie auch Ziehfeder. Ich erkläre ihm, daß man Reißfedern zum Linienziehen benutzt und nicht zum Schreiben. Ob er das nicht wüßte?

Reiß- oder Ziehfeder (Wikipedia)

Natürlich wüßte er das, aber ich solle mich nicht so anstellen und die Klappe halten. Ich erkläre ihm, daß es ein spezielles Gerät zum Beschriften technischer Zeichnungen gibt. Der Name des Gerätes fällt mir nicht ein, aber ich kann es in allen Details beschreiben. Es besteht aus einem federhalteratigen Griff, an dem unten ein kleiner Hohlzylinder angebracht ist. Unten schaut ein dünnes Röhrchen von 10mm Länge heraus und oben hat es eine Öffnung, die manchmal mit einem Schräubchen verschlossen ist. Dorthinein füllt man mit einer Tuschepatrone die Tusche. (Heute benutzt man diese archaischen Geräte nicht mehr, es gibt Tuschefüller und Tuschezeichner.) Dann braucht man eine Schriftschablone, die an ein festes Lineal angelegt werden kann, auf einem Reißbrett zum Beispiel.

Schriftschablone (Quelle: Zeichen-Center Ebeling)

Indem man das kleine Röhrchen in den Buchstabenvorlagen der Schablone herumführt, schreibt man den Text auf die Zeichnung. Aus dem Röhrchen fließt unten die Tusche heraus wie bei einer gewöhnlichen Schreibfeder. Die könnte man natürlich auch benutzen, wenn man exakte Normschrift nach DIN oder TGL beherrscht. Aber wer kann das schon? Der Meister verliert die Geduld und schickt mich in den Garten zum Bierausschenken. Hinter einem Tisch stehen augestapelte Bierkästen, aber es gibt keine Gläser. Die Flaschen in den Kästen sind die alten 0,33-l-Flaschen mit den dicken Bäuchen und den kurzen Hälsen. Die Kästen sind noch aus Holz. Ich suche einen Flaschenöffner, finde aber keinen. Dann kommt ein zweiter Lehrling dazu. Er soll mir helfen. Ich nehme schließlich mein Schweizermesser, um die Flaschen zu öffnen. Ich nehme zwei Flaschen und öffne sie, eine gebe ich dem Kollegen. Wenn wir schon den ganzen Abend unentgeltlich für den Alten schuften müssen, dann wollen wir wenigstens ein paar Bier trinken! Der Abend wird bestimmt lang. Da kommt der Sohn des Meisters hinzu und verlangt, daß wir das Bier bezahlen. Ich sage ihm, daß wir hier schließlich ohne Bezahlung arbeiten und es wäre wohl nicht zu viel verlangt, Getränke kostenlos zu bekommen. „Schlechte Küche, in der der Koch nicht satt wird“, sage ich. Aber der Filius besteht darauf. Ich verlange wenigstens Limonade, aber es gibt keine. „Los“, sage ich zu meinem Kumpel, „wir streiken!“ Der Kumpel aber haut ab, und ich bin alleine zwischen all den Geburtstagsgästen. Vor mir steht der Meister im guten Anzug, er wendet mir den Rücken zu. Mir fällt ein, daß ich ihm noch gar nicht gratuliert habe, aber ich beschließe ihn zu ignorieren. Die Gäste schleppen den Tisch an einen anderen Ort im Garten, und ich soll die Bierkästen nachbringen. Das Durcheinander wird immer größer. Aber das ist mir jetzt egal, denn ich muß auf die Toilette. Und ich bin froh, daß ich Rentner bin und zu Hause in meinem Bett liege.

(c) Bernd Mai 2012

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